Please activate JavaScript!
Please install Adobe Flash Player, click here for download

Bergen-Belsen Prozess

17 Um zu einem umfassenden Bild des Prozesses zu gelangen, erscheint es nötig (und angesichts des vorhandenen Quellenmaterials auch möglich), sich jenseits der den Verhandlungsverlauf prägenden formaljuristischen Debatten auch mit den verschiedenen Repräsentationen von Tat, Tätern und deren Selbst- wie Fremdwahrnehmungen auseinander zu setzen. Dabei ist zu beo- bachten, dass sich diese Repräsentationen je nach (Ein-)Stellung der beobachtenden Person zu den Angeklagten voneinander unterscheiden bzw. in verschiedener Weise instrumentalisiert wurden. Am passivsten verhielt sich das Gericht selbst, dass sich aus fünf britischen Stabsoffizieren un- ter der Präsidentschaft von Major-General H.P.M. Berney-Ficklin zusammensetzte. Welche Hal- tung sie gegenüber den Männern und Frauen auf der Anklagebank einnahmen, ist den Quellen nicht zu entnehmen, da die Vernehmung aller Zeugen in erster Linie durch Anklage und Vertei- digung erfolgte und das Gericht zwar die Urteile verkündete, diese aber gemäß der gängigen Praxis britischer Militärgerichtsverfahren nicht begründete, so dass unklar bleiben muss, welche Argumente bei der Schuldfestlegung als besonders be- bzw. entlastend gewertet wurden. Da es sich bei den Mitgliedern des Gerichts um Laienrichter handelte, die selbst über keine ju- ristische Ausbildung verfügten, war ihnen Judge Advocate C.L. Stirling als Gerichtsbeisitzer zu- geordnet, dessen Aufgabe darin bestand, auf etwaige Verfahrensfehler wie unzulässige Fragen oder eine nicht statthafte Beweisführung hinzuweisen, sich bei Bedarf in die Zeugenbefragung einzuschalten und vor Prozessende die von Staatsanwaltschaft wie Verteidigung vorgebrachten Beweise bzw. Argumente noch einmal zusammenzufassen und gegeneinander abzuwägen, um so dem Gericht eine juristisch einwandfreie Urteilsfindung zu ermöglichen.29 Was den Ausgang des Verfahrens anbelangt, war das Verhalten Stirlings somit von entscheidender Bedeutung; beispielweise riet er dem Gericht, Eidesstattliche Erklärungen, die Beschuldigte in Untersu- chungshaft abgegeben hatten und in denen sie sich zum Teil selbst schwer belasteten, als Be- weismittel zuzulassen, die Behauptung eines Befehlsnotstandes zur Entlastung der Angeklag- ten hingegen nicht gelten zu lassen, und entwertete so wichtige Argumente der Verteidigung. Dass sich sein Auftreten jedoch strikt auf den juristischen Bereich beschränkte und er um per- sönliche Unparteilichkeit bemüht war, kommt u.a. darin zum Ausdruck, dass er das Gericht im Verlauf seines abschließenden „summing-up“ explizit darum bat, es solle ihm dann keine Be- achtung schenken, wenn er den Anschein erwecke, in irgendeiner Form seine persönliche Mei- nung zu äußern.30 Die Anklage wurde von Colonel Thomas M. Backhouse geleitet, dem drei Offiziere des juristi- schen Personals des Hauptquartiers der britischen Rheinarmee zur Seite standen. Gemäß den Verfahrensregeln hatte die Staatsanwaltschaft bei der Beweisführung den Vortritt. Backhouse legte diese so an, dass er die individuelle Täterschaft zunächst in den Hintergrund stellte und statt dessen ein detailliertes Bild der Zustände in den Lagern zeichnete: der Vorgang der Selek- tionen und Vergasungen in Auschwitz, die katastrophalen Lebensbedingungen in Bergen- Belsen, permanente Misshandlungen und willkürliche Morde, Sklavenarbeit, Seuchen, Unterer- nährung und Kannibalismus – die nüchterne Beschreibung all dessen genügte in den Augen 29 Vgl. Frederick Honig, Kriegsverbrecher vor englischen Militärgerichten, in: Schweizerische Zeitschrift für Straf- recht 62 (1947), S. 20-33. 30 Philipps, Belsen Trial, S. 635.

Seitenübersicht