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Bergen-Belsen Prozess

35 Statt eines Nachwortes: Erinnerungen im Jahre 2010 an eine Fahrt nach Bergen-Belsen im Frühjahr 1981 von Peter Asmussen „Sag mal, du hast doch so einen umgebauten VW-Bus. Da passen doch einige Leute rein und Gertrud hat Zeit für eine Führung mit uns. Kannst du uns nicht damit nach Bergen-Belsen fahren?“ Wer mich dies fragte war Franz Holländer, ein früherer KZ-Häftling, den ich einige Zeit vorher in der Pädagogi- schen Hochschule Lüneburg kennen gelernt hatte - ein merkwürdiges erstes Zusammentreffen: Zwei auffällige Männer schlurften mir eines Tages über den Flur des ersten Stocks im sog. PH-Neubau am Ro- thenbleicher Weg entgegen. Sie suchten das Büro des Studentenausschusses. Auffällig waren die beiden nicht nur deshalb, weil sie als alte Männer jenseits der 70 Lenze so gar nicht in das Bild der bildungsreformerischen bis re- volutionären Alt-Jugend passten, die sich damals in dieser Bildungseinrichtung rumtrieb, sondern auch deshalb, weil man ihr Alter deutlich vernahm: Der eine spiegelte mit seiner ¾-Glatze den ansonsten dunklen Flur aus und sehr deutlich war die gewaltige Wunde oberhalb seiner Stirn zu sehen und der andere schniefte beim Einatmen derart laut durch die Nase, das die PH-Wände wackelten und ich befürchten musste, dass man aus den angren- zenden Seminarräumen um Ruhe bitten würde. Jedenfalls kam es mir so vor. Die beiden auffälligen Männer stell- ten sich als Mitglieder der VVN-Lüneburg vor (von denen ich bis dato nichts wusste) und erklärten mir, dass sie über den Studentenausschuss einen persönlichen und fürsprecherischen Zugang zur Hochschulleitung suchten, weil sie gerne erreichen wollten, dass die PH in ihren Räumen eine VVN-Ausstellung über den antifaschistischen Widerstand und die NS-Verfolgung in Niedersachsen durchführt. Natürlich hat die Hochschulleitung diesen Wunsch abgelehnt. Aber wofür gibt es den Studentenausschuss? Also wurde die Ausstellung in der Pädagogi- schen Hochschule dennoch gezeigt und das sonderbare Benehmen und Aussehen der beiden alten Herren wurde mir bald bekannt als Spätfolgen der Inhaftierung in einem Konzentrationslager, bzw. als Ergebnis einer militäri- schen Verweigerungshaltung bei der Wehrmacht. Ich begann mich für diese Menschen und die Lüneburger VVN- BdA zu interessieren. Nun also nach Bergen-Belsen: Auch weil ich diese Gedenkstätte bis dato noch nie besucht hatte, willigte ich ein, entsprach der Bitte des Franz Holländer und am verabredeten Treffpunkt stiegen 6 alte Leute mit Krückstock und sonstigen Gehhilfen in meinen VW-Bus ein. Die Gespräche kreisten zunächst, wie das bei älteren Leuten so üblich ist, um individuelle gesundheit- liche Probleme, dann aber dominierte die Gemeinsamkeit, ihre Erinnerung: ihr Kampf gegen den Faschismus in Lüneburg 1933 ff.. So erfuhr ich von den Aktivitäten dieser damals jungen Leute gegen die „Lüneburger Salzsä- cke“ ( sicherlich analog benutzt zu den Hamburger Honoratioren, die im Volksmund „Pfeffersäcke“ genannt wer- den), die schon sehr früh mit den Nazis gemeinsame Sache machten, von illegalen Versammlungen der Antifa- schisten/-innen, vom Druck und der Verteilung antifaschistischer Flugblätter, die sie teilweise in Lüneburg ge- schrieben und hergestellt hatten und die z. T. von Harburg aus von diesen Herrschaften, meinen Mitreisenden, nach Lüneburg geschmuggelt wurden und vieles mehr. Sie berichteten von den Verhaftungen, denen sie zum Op- fer fielen, von KZ-Haft, Polizeigewahrsam, Gefängnissen. Alle meine älteren Begleiter hatten selber die faschisti- sche Haft zu erleiden gehabt. Sie erzählten auch von der Zeit nach ihrer Befreiung 1945, als sie als Antifaschisten/- innen anerkannte Lüneburger Bürger waren, sich innerhalb der Verwaltung und auch als einheitliche „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ mit eigenem Büro, gestellt von der Stadtverwaltung, um den Aufbau der Stadt und um die Interessen der Nazi-Verfolgten kümmerten, immer unter dem Label „Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!“ Und sie erzählten, wie dieser „kurze Frühling des Antifaschismus“ schon Anfang der 50er Jahre beendet wurde auch in Lüneburg- mit erheblichen auch persönlichen Konsequenzen für die Mitreisenden. Sie nannten u. a. den Namen Wetzel, den Nazi-Oberbürgermeister von 1936 bis 1945, der wieder in den Rat der Stadt Lüneburg kam, nun als Abgeordneter der FDP, und den Namen Müller, einen stadtbekannten SA- Führer, der jetzt sogar zum Bürgermeister der Stadt gewählt wurde. Alle Honoratioren der Stadt wussten von dem NS-Vorleben dieser Männer, aber sie machten ihren Frieden mit diesen NS-Tätern. Logisch, dass Organisationen wie die VVN dieser Art von „Vergangenheitsbewältigung“ im Wege standen und deshalb selber ins Visier der alten und neuen Mach- thaber gerieten. Für mich am Beeindruckendsten war die Schilderung einer besonderen VVN-Gedenkveranstaltung für die ermor- deten KZ-Häftlinge im Tiergarten in den ersten Nachkriegsjahren, an der ebenfalls die Jüdische Gemeinde teil- nahm und auch Abordnungen verschiedener Lüneburger Großbetriebe und die von der Stadtverwaltung verboten

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