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Bergen-Belsen Prozess

28 als Farce bzw. „dick aufgetragene[s] Theaterstück.“66 Trotz der Strategie der Staatsanwaltschaft, die Angeklagten der Teilhabe an einer allgemeinen Verschwörung gegen die Opfer zu überfüh- ren, bedurfte es nach angelsächsischem Recht natürlich zunächst des Schuldbeweises für indi- viduelle Straftaten, für die dann die ganze Gruppe hätte haftbar gemacht werden können. Dabei hatte die Anklagevertretung allerdings vollkommen außer Acht gelassen, dass ein solcher Nachweis angesichts der spezifischen Lebens- bzw. Sterbeumstände in Konzentrationslagern kaum zu erbringen war. Hinsichtlich des Massenmordes in den Gaskammern stand aus offen- sichtlichen Gründen niemand zur Verfügung, der gegen die Täter hätte aussagen können; kaum einfacher erwies sich die Beweisführung bei Misshandlungen bzw. vereinzelten Mordfällen. Al- lein schon die Frage nach der genauen Tatzeit musste den als Zeugen auftretenden Überle- benden angesichts des sich im Lager einstellenden bzw. erzwungenen Verlusts jeglichen Zeit- gefühls67 geradezu grotesk erscheinen: „Zum Beispiel fragte man mich, ob ich jemals gesehen hätte, wie einer der Angeklagten jemanden ermordet hat. Wenn ich ja sagte, lautete die nächste Frage: An welchem Wochentag war das und um welche Uhrzeit? Natürlich musste ich aussa- gen, dass ich das nicht wüsste. Ich stand unter Eid, und im Lager hatte man weder einen Ka- lender noch eine Uhr. Auch hätte es kaum einen interessiert, ob das an einem Montag oder an einem Donnerstag geschah. Allein die Tatsache, eine solche Frage nicht präzise beantworten zu können, bewirkte, dass man das Gefühl hatte, nicht die Wahrheit zu sagen.“68 Unerbittlich nutzte die Verteidigung die Tatsache, dass Erinnerungs- und Konzentrationsvermögen vieler Zeu- gen infolge von Unterernährung und Krankheiten immer noch mangelhaft waren, um sie vor Gericht als un- glaubwürdig zu diskreditieren. Ver- wechslungen sowohl von Tätern als auch von Opfern, unterschiedliche Schilderungen von Tathergängen, of- fensichtliche Widersprüche zwischen den Eidesstattlichen Erklärungen und den Angaben vor Gericht durch ein und denselben Zeugen, insgesamt die Tendenz, ein allgemeines, vages Schreckensbild zu zeichnen, wo konk rete Aussagen zu Tatzeit, -ort, -waffe, -ausführung etc. gefordert wurden – all das erlaubte es den Verteidigern, die Aussagen dieser Zeugen als generell subjektiv, übertrieben und unzuver- lässig darzustellen. „We all realize“, so Major Cranfield, Verteidiger von Irma Grese, „that they had been imprisoned for a long time, in a way which we consider unjust, and under deplorable conditions, but this is a Court of Justice, not a Court of Sentiment.“69 Den Grad der aus einer 66 Lasker-Wallfisch, Wahrheit, S. 200. 67 Vgl. Wolfgang Sofsky, Die Ordnung des Terrors: Das Konzentrationslager, Frankfurt a.M. 1999, S. 88ff. 68 Lasker-Wallfisch, Wahrheit, S. 197. 69 “Uns allen ist bewußt, dass sie lange inhaftiert waren, auf eine Art und Weise, die wie als ungerecht ansehen, und unter bedauerlichen Umständen, aber dies ist ein Gerichtshof, kein Gefühlshof”; Original zitiert nach Philipps, Belsen Trial, S. 244.

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