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Bergen-Belsen Prozess

26 Schuldprüfung fand so gut wie nicht statt.57 Dementsprechend nimmt es nicht wunder, dass in den Berichten der ostdeutschen Tageszeitungen über den Belsen-Prozess die einzelnen An- geklagten bei weitem nicht die herausgehobene Rolle wie in der westlichen Presse spielten; vielmehr war hier verallgemeinernd von einer „faschistischen Verbrecherclique“ die Rede, deren Taten zur pauschalen Verurteilung des Hitler-Regimes und – im gleichen Atemzug – verklären- den Idealisierung des sowjetischen Staats- und Gesellschaftssystems mit Stalin an der Spitze herangezogen wurden. Auch die französische Seite monierte eine zu nachsichtige Haltung der Briten gegenüber den Angeklagten.58 Die britische Botschaft in Paris wurde mit Briefen empörter Bürger überschüttet, die sich bitter über das ihrer Ansicht nach lächerliche Strafmaß beschwer- ten. Am 6. Dezember 1945 trafen sich Ver- treter aller Parteien zu einer Protestkundge- bung im Salle de la Mutualité. Zwar verteidig- te der englische Botschafter den Ablauf des Prozesses mit dem Hinweis, anders als für die Franzosen sei die Bestrafung von Kriegsverbrechern für die Briten eine Frage sachlicher und nicht symbolischer Justiz, bemerkte allerdings auch: „[T]he sincerity of the protests can hardly be called into question [...] [T]he degree of publicity which the proceedings received has had an effect which is exactly the reverse of that which it was presumably intended to pro- duce”59 . Obwohl sich das öffentliche Interesse bald auf die Nürnberger Prozesse verlagerte, be- schloss die französische Regierung, neue Beweise gegen die in Lüneburg Freigesprochenen zu sammeln, um ihnen in Frankreich noch einmal den Prozess zu machen. Zwar signalisierten die britischen Behörden grundsätzliche Kooperationsbereitschaft, machten jedoch deutlich, dass sich die Anklage kein zweites Mal auf Verbrechen in Bergen-Belsen beziehen dürfe. Als die Franzosen schließlich aufgrund neu entdeckten Beweismaterials die Auslieferung der betref- fenden Personen verlangten, wurde ihnen mitgeteilt, dass man die vierzehn Männer und Frauen in der Zwischenzeit auf freien Fuß gesetzt habe. Während also die anderen Besatzungsmächte zu diesem Zeitpunkt noch ihre Entschlossenheit demonstrierten, Kriegsverbrechen ebenso umfassend wie unerbittlich zu verfolgen,60 hatten die langwierigen Vorbereitungen des Belsen-Prozesses und sein schleppender Verlauf dem bereits 57 Vgl. Gerd R. Ueberschär, Die sowjetischen Prozesse gegen deutsche Kriegsgefangene 1943-1952, in: ders. (Hg.), Der Nationalsozialismus vor Gericht. Die alliierten Prozesse gegen Kriegsverbrecher und Soldaten 1943- 1952, Frankfurt a.M. 1999, S. 240-261. 58 Vgl. Bower, Blind Eye, S. 201. 59 „… die Ernsthaftigkeit der Proteste kaum in Frage gezogen werden kann […] Das Ausmaß an öffentlicher Beach- tung, die der Verhandlung zuteil wurde, hat genau zum Gegenteil der Wirkung geführt, die eigentlich erzielt werden sollte“; Schreiben an die War Crimes Section des Foreign Office, 29.12.1945; zitiert nach ebd. 60 Kurz nach Beginn des Belsen-Prozesses hatten auch die Amerikaner zum ersten Mal ein Militärgerichtsverfahren gegen ehemaliges KZ-Personal eröffnet: Der erste Dachau-Prozess endete am 13.12.1945 nach nur einem Monat Verhandlungsdauer damit, dass von vierzig Angeklagten sechsunddreißig zum Tode und vier zu mehrjährigen Frei- heitsstrafen verurteilt wurden; vgl. Ute Stiepani, Ute, Die Dachauer Prozesse und ihre Bedeutung im Rahmen der alliierten Strafverfolgung von NS-Verbrechen, in: Ueberschär, Nationalsozialismus vor Gericht, S. 227-239, hier S. 232; zu amerikanischen Militärtribunalen vgl. außerdem Robert Sigel, Im Interesse der Gerechtigkeit. Die Dachauer Kriegsverbrecherprozesse 1945-1948, Frankfurt a.M. 1992.

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