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Bergen-Belsen Prozess

22 Bei der Betrachtung der Auswirkungen des Lüneburger Prozesses lassen sich auf den ver- schiedenen gesellschaftlichen und politischen Ebenen unterschiedliche Reaktions- bzw. Rezep- tionsformen feststellen. So kann zunächst danach gefragt werden, wie der Prozess in die örtli- chen Entwicklungen am Verhandlungsort eingebettet war bzw. in welchem Maße er die lokale Stimmung zur „Stunde Null“ beeinflusste. Lüneburg, ehemaliger Verwaltungssitz des Gaues Ost-Hannover und nationalsozialistische Vorzeigestadt mit einem überdurchschnittlich hohen Anteil an Parteigenossen, war zwar von Bombenangriffen weitgehend verschont geblieben, hat- te allerdings in den letzten Kriegsmonaten durch den extremen Zustrom von Flüchtlingen eine Verdoppelung seiner Bevölkerung erfahren, was zu einer dramatischen Verknappung der vor- handenen Lebensmittel- und Wohnraumkapazitäten geführt hatte.41 Letztere wurde im Vorfeld des Belsen-Prozesses durch zahlreiche Requirierungen für Pressevertreter sowie die Mitglieder des Gerichts noch verschärft. Der Prozess berührte die allgemeine Stimmung somit zu einer Zeit, da die erste Fassungslosigkeit über die militärische Niederlage längst in eine Art Dauer- apathie infolge von allgegenwärtigem Mangel und der Aussicht auf eine scheinbar hoffnungslo- se Zukunft übergegangen war. Der überwältigenden Bedeutung dieser Alltagsnöte entspre- chend ist nur ein geringes Interesse für den Prozess zu verzeichnen. Die Zuschauergalerie, auf der die Briten 400 Sitzplätze eingerichtet hatten,42 war bis auf die ersten Verhandlungstage sowie den Tag der Urteilsverkündung nur spärlich gefüllt, und aus einem gehei- men Bericht der Information Services Control Branch geht hervor, dass die Bevölkerung in den ländlichen Gebieten, wo weder Zeitungen noch Radio verfügbar waren, kaum etwas vom Prozess mitbekommen hatte.43 Insgesamt vermitteln die Quellen den Eindruck einer „toten Zeit“, die wie eine Art Va- kuum zwischen dem Begehen und dem Begreifen der Ver- brechen liegt. Wenn Reaktionen von anwesenden Beobach- tern registriert wurden, so wurden diese in der Regel als sehr verhalten bezeichnet; mehr noch als vorsichtige Zustimmung zum strafrechtlichen Vorgehen der Besatzungsmacht44 findet sich bei diesen Zuschauern eine derart offen zur Schau ge- stellte Verachtung gegenüber den Angeklagten, dass sich schon wieder der Eindruck aufdrängt, hier werde die eigene Schuld auf eine zahlenmäßig begrenzte Gruppe abgewälzt und die möglicherweise aufkeimende Erkenntnis persönli- cher Mitverantwortung in moralischer Entrüstung ertränkt.45 41 Vgl. Helmut C. Pless, Lüneburg 45. Nordost-Niedersachsen zwischen Krieg und Frieden, Lüneburg 1976. 42 Vgl. Public Record Office WO 205/1142 43 Vgl. Public Record Office FO 1005/1739 44 Ausländische Journalisten berichteten mit einer Mischung aus Amüsement und Entsetzen, dass deutsche Pro- zesszuschauer die Fairness des Verfahrens hauptsächlich darin zu erkennen glaubten, dass das Gericht nicht sämtliche Angeklagte ohne viel Aufhebens zum Tode verurteilt habe, wie man es aus der Zeit des Dritten Reiches gewohnt gewesen sei. 45 Vgl. Manchester Guardian, Ausgabe vom 20.09.1945. Anweisung an den Oberbürgermeister

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