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Bergen-Belsen Prozess

23 Deutlich geht aus den Quellen hervor, dass sich die Vorstellung, durch eine Mischung aus Schock und Aufklärung einen „Selbstreinigungseffekt“ in der Tätergesellschaft erzielen zu kön- nen, schon nach dem Belsen-Prozess als Trugschluss erwies. Die gerichtliche Verfolgung der NS-Verbrechen, so der Plan der Besatzungsmacht, sollte nicht nur die Täter strafen und die begangenen Verbrechen sühnen, sondern auch als Teil einer juristischen und moralischen Läu- terung die Voraussetzung für ein neues, demokratisches Deutschland schaffen. Dem Lünebur- ger Prozeß als erstem großen Strafverfahren in der britischen Zone hätte dabei exemplarische Bedeutung zukommen sollen.46 Trotz des massiven Einsatzes von Presse und Rundfunk im Dienste der britischen Re-Education Policy47 ist davon auszugehen, dass keine wirkliche Brei- ten- bzw. „Tiefenwirkung“ erzielt wurde. Sollte diese Form der Entnazifizierung nach den Plänen der britischen Besatzungsmacht eigentlich in ihrem gesamten Einflussbereich zur Demokratisie- rung beitragen, so stellte sie sich – wie gesehen – schon in unmittelbarer Nähe zu Tat- und Ge- richtsort als nahezu wirkungslos heraus. Was die Auswirkungen auf die deutsche Öffentlichkeit anbelangt, erwiesen sich paradoxerweise sowohl das taktische Vorgehen der Anklagevertretung als auch die Strategie der Medien als wenig überzeugend bzw. geradezu kontraproduktiv. So hatte Staatsanwalt Backhouse in seiner Argumentation gegen die Beschuldigten versucht, die sogenannte „prima facie“-Regelung zur Geltung zu bringen. Diese ebenfalls in der Royal Warrant vorgesehene Verordnung zielte auf eine Art Kollektivhaftung, der zufolge nicht nur die Tat an sich bzw. der eigentliche Täter be- straft werden konnten, sondern auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe von Personen, aus de- ren Kreis heraus die Tat begangen worden war. Die Idee hinter dieser Vorgehensweise bestand darin, dass die Substanz der Anklage, sprich: die bei der Befreiung vorgefundenen und doku- mentierten Leichenberge, nicht bestritten werden konnte; indem man also voraussetzte, dass ausnahmslos alle Mitglieder des KZ-Personals die katastrophalen Zustände und das daraus re- sultierende Massensterben bewusst mitverursacht hatten, glaubte man sie insgesamt verurtei- len zu können, ohne ihren individuellen Anteil am Zustandekommen dieser Zustände, also we- der ihre genaue Funktion innerhalb des Kommandanturstabs noch die Dauer ihrer Anwesenheit im Lager, berücksichtigen zu müssen. Mit diesem Versuch, die Angeklagten einer Verschwö- rung gegen die Opfer zu überführen, gab die Staatsanwaltschaft jedoch einem im deutschen Rechtswesen unbekannten Straftatbestand den Vorrang vor einer völkerrechtlich „wasserdich- ten“ juristischen Grundlage und setzte sich so unweigerlich dem Vorwurf der tiz“ aus.48 Dementgegen erlagen insbesondere die britischen Pressevertreter häufig der Versuchung, sich in ihrer Berichterstattung auf einzelne Angeklagte zu konzentrieren, und zwar hauptsächlich auf Kramer, dessen finstere Physiognomie für Karikaturen jeder Art geradezu prädestiniert schien, 46 In einer Oberhausdebatte bezeichnete Lord Nathan, Staatssekretär im War Office, das Verfahren als „definite thing in the re-education of Germany“ [bedeutendes Element für die Umerziehung Deutschlands] ; vgl. News Chro- nicle, Ausgabe vom 24.10.1945. 47 Vgl. Ehlert, Umerziehung, S. 251f. 48 Das Konzept der „conspiracy“ [Verschwörung] war später auch Hauptbestandteil der Anklagestrategie in den Nürnberger Prozessen, was diesen ebenfalls den Vorwurf ungerechter Siegerjustiz einbrachte; vgl. Peter Stein- bach, Der Nürnberger Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher, in: Ueberschär, Nationalsozialismus vor Gericht, S. 36f.

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