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Bergen-Belsen Prozess

24 und auf Grese, die sowohl rein äußerlich als auch in ihrem kühlen, Verachtung ausstrahlenden Habitus die perfekte Verkörperung des nationalsozialistischen Menschenbildes darstellte, das es zu demontieren galt. Da jedoch beide, Kramer und Grese, im Laufe der Verhandlungen zuneh- mend zu anomalen Bestien stilisiert wurden, waren sie schließlich kaum noch geeignet, die ihnen ursprünglich zugedachte, repräsentative Funktion als „ganz normale Deutsche“ auszufüllen. Wie nach dem Nürnberger Pro- zess gegen die Hauptkriegsverbrecher, der durch die Ver- urteilung führender Nationalsozialisten „die Selbstent- schuldung und Selbstentlastung größerer Bevölkerungs- teile förderte“49 , führten auch im ersten Belsen-Prozess sowohl die Kollektivierung als auch die Individualisierung der Täter vor Gericht und in den Medien letztlich dazu, dass die in den Verfahren anklingende allgemeine Schuldfrage nach Mittäterschaft bzw. die „den Verbrechen vorausgehende politische, moralische und ethische Desensibilisierung“50 in der deutschen Öffentlichkeit mehr oder minder ungehört verhallte. Die geringe Resonanz, die der Prozess insgesamt in Deutschland auslöste, ist allerdings nicht nur auf die Führung, sondern auch die Länge des Verfahrens zurückzuführen. War man urs- prünglich von zwei bis drei Wochen Prozessdauer ausgegangen, zogen sich die Sitzungen im Endeffekt über volle zwei Monate hin. Im Verlauf von vierundfünfzig Verhandlungstagen wurden insgesamt vierunddreißig Zeugen der Anklage und dreiunddreißig Zeugen der Verteidigung ge- hört sowie Dutzende von Affidavits verlesen. Hatten die meisten Zeitungen über die ersten Ver- handlungstage noch in ausführlichen Artikeln, häufig auf ihren Titelseiten, berichtet, so war spä- testens ab der dritten Prozesswoche ein deutlich nachlassendes Interesse zu verzeichnen, das erst mit der Urteilsverkündung wieder erwachte. Neben den erwähnten rechtlichen Disputen zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung waren es nicht zuletzt die sprachlichen Verstän- digungsprobleme, die dafür sorgten, dass es – so Axel Eggebrecht, Berichterstatter für den NWDR – „halbe Tage lang [schien], als stünde die Verhandlung still“51 : Da alle Prozessbeteilig- ten (von wenigen Ausnahmen abgesehen) nur einer Sprache mächtig waren, mussten sämtli- che Fragen und Antworten ins Englische und Deutsche sowie im Fall der meisten Zeugen in mindestens eine weitere Sprache, etwa Polnisch oder Ungarisch, übersetzt werden, wodurch die eigentliche Verhandlungsdauer verdrei- oder sogar vervierfacht wurde.52 Gerade diese Sorgfalt bei der Verhandlungsführung war es jedoch, die zu einer positiven Beur- teilung des Prozesses auf britischer Seite führte. „I am bound to say“, schrieb beispielsweise Guy Lambert, stellvertretender Staatssekretär im War Office, an seinen Kollegen im Außenmin- isterium, „that the Army Council is satisfied that the trial was carried out with the best tradition of 49 Ebd. S. 39. 50 Ebd. S. 40. 51 Nachlaß Axel Eggebrecht, Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg NE Ai 10. 52 Vgl. Kolb, Bergen-Belsen, S. 182. Irma Grese und Josef Kramer

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