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Bergen-Belsen Prozess

9 toriographische Facette zu erweitern, sondern durch einen sozusagen kaleidoskopartigen Blick auf Tat und Täter auch ein besseres Verständnis der unterschiedlichen mentalen Befindlichkeiten zur sogenannten „Stunde Null“ zu erlangen, also den Ursprüngen bestimmter Verhaltensmuster nachzuspüren, die sich nicht zuletzt für die deutsche „Erinnerungskultur bis in die jüngste Zeit hi- nein als prägend erwiesen haben. Im folgenden sollen die Eckpunkte einer solchen Herange- hensweise erläutert werden; als Einstieg in das Thema bietet sich eine rechtshistorische Pers- pektive an, da der erste Belsen-Prozess nicht zuletzt aufgrund seiner frühen Terminierung diver- se juristische Besonderheiten aufweist. Am 30. Oktober 1943 hatten die USA, Großbritannien und die Sowjetunion in Moskau in einer gemeinsamen Erklärung zum ersten Mal konkrete Grundsätze einer gerichtlichen Ahndung von Kriegsverbre- chen festgelegt; demnach sollten sämtli- che Täter sowie die für die Taten Verant- wortlichen ermittelt, festgesetzt und an- schließend an jene Staaten ausgeliefert werden, in denen sie ihre Verbrechen be- gangen hatten, um dort abgeurteilt zu werden. Davon ausgenommen wurden die als Hauptkriegsverbrecher bezeichneten Personen, deren Verbrechen sich nicht auf einzelne Länder beschränkten; ihre Bestrafung behielten sich die Alliierten selbst vor und kündigten zu diesem Zweck die Einrichtung eines internationalen Tribunals an. Bekräftigt wurde diese Ab- sicht einer umfassenden und zügigen Strafverfolgung noch einmal auf der Konferenz von Jalta (04.-11. Februar 1945): „We are determined to bring all war criminals to justice and swift pun- ishment.“3 Die Deutlichkeit dieser politischen Willenserklärungen sollte jedoch nicht darüber hinwegtäu- schen, dass über die praktische Umsetzung eines Strafverfolgungsplans lange Zeit keine Eini- gung erzielt werden konnte. Zunächst auf sowjetischer, anschließend auf englischer und ameri- kanischer Seite hatte man noch bis zum Herbst 1944 erwogen, statt der Durchführung langwie- riger Prozesse, welche die Gefahr des propagandistischen Missbrauchs durch die Angeklagten in sich zu bergen schienen, auf eine schnellere, „unkompliziertere“ Form des Strafvollzugs zu setzen: Eine bestimmte Anzahl nationalsozialistischer Kriegsverbrecher sollte nach ihrer Ergrei- fung sofort standrechtlich hingerichtet werden, wobei die Vorstellungen je nach Szenario von der Exekution der als Hauptverantwortliche ausgemachten NS-Funktionäre bis zu Massener- schießungen deutscher Wehrmachts- und Waffen-SS-Offiziere reichten.4 Als sich im Zuge der Verwerfung des Morgenthau-Plans dann auch auf angelsächsischer Seite eine justitielle Lösung durchsetzte, sah man sich mit dem Problem konfrontiert, dass Phänomen und Ausmaße 3 „Wir sind entschlossen, alle Kriegsverbrecher vor Gericht zu bringen und schneller Bestrafung zuzuführen“; im Original zitiert nach Beate Ruhm von Oppen (Hg.), Documents on Germany under Occupation 1945-1954, London 1955, S. 5. 4 Vgl. Lothar Kettenacker, Die Behandlung der Kriegsverbrecher als anglo-amerikanisches Rechtsproblem, in: Ue- berschär, Nationalsozialismus vor Gericht, S. 17-31, hier S. 22ff.

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